Vivi D’Angelo

Wenn man in die Zukunft blickt, ist nicht vieles sicher, außer der Tatsache, dass sie ungewiss ist. Was der Zeitraum Zukunft allerdings auch bedeutet, ist Handlungsspielraum, Freiheit und unbegrenzte Möglichkeiten. Die Unbegrenztheit der Möglichkeiten rührt schon allein daher, dass Zukunft ein fortlaufender Zeitverlauf im Unbekannten ist. Ich lebe jetzt in der Zukunft von gerade eben und kann die Zukunft meines Ichs in 10 Minuten dahingehend frei gestalten, dass ich völlige Freiheit darüber besitze, um was es in diesem Text gehen soll. Vielleicht ist die Freiheit dahingehend etwas eingeschränkt, dass ich mich hier schon ein paar Zeilen mit der Zukunft befasst habe.

Die – ich nenne es mal hochtrabend – geistige Gestaltungsfreiheit, die jeder für seine persönliche Zukunft hat, wird allerdings von einzelnen Parametern, die gesamtgesellschaftlich individuell auf einen wirken, beschnitten. Jedoch soll es in diesem Essay nicht um mich und meine Freiheit gehen, sondern um die Zukunft des Tellers, und demnach auch die Zukunft unseres Essens.

Betrachtet man die Art des Essens der letzten 100 Jahre, und da vor allem die Präsentation der Speisen im individuellen Restaurantangebot und die Produktpalette, auch bekannt als a la carte, kann man schon eine gewisse Entwicklung betrachten, die auch immer ganz eng verknüpft war (und ist) mit der Erschließung neuer Kulturen und den damit in Verbindung zu bringenden Essgewohnheiten, aber auch Produkten, Kräutern und Gewürzen, Porzellan und Besteck. Das absolute Hoch, wenn auch nicht qualitativ betrachtet, der breiten Zugänglichkeit der globalen Esskultur, lässt sich wohl ganz gut am Unverständnis aufzeigen, dass sich in mir breit gemacht hat, sobald mir mal zufällig eine Speisekarte eines Lieferdienstes entgegen geschlagen ist, die von Pasta bis Gyros, über Thai Curry und Sushi alles anbietet, was der kulinarische Weltmarkt so hergibt. Obgleich keine tiefere Zweckmäßigkeit dahinter steckte oder gar ein Verständnis für die dahinter liegenden Esskulturen und das Know-How der Zubereitung vorlag – und es meiner Meinung nach eher eine Verunglimpfung der genannten Speisen und ein Affront gegen die jeweilige Länderküche ist – so findet, wie gesagt, das Speisenangebot genau darin seinen Höhepunkt. Höhepunkte sind allerdings keine Plateaus auf denen man lange Rast macht, weder gesamtgesellschaftlich noch individuell.

Wobei es dann auch wieder im jeweiligen Betrachterauge liegt, ob man sich rück- oder weiterentwickelt. Der Teller entwickelt sich – immer rasanter, auf vielen Ebenen. Er wird durch verschiedene Strömungen geprägt, altes wird neu verpackt und Dinge werden kombiniert, die nie als kompatibel galten. Eine Entwicklung, die ebenfalls zu erkennen ist und die ein Verfechter des globalen Handels als frevelhaft abtun würde, ist die Besinnung auf Regionalität, auf alte Werte und Zusammenhänge zwischen Körper und Geist, aber auch den direkten Bezug zur eigenen Kultur und der einen umgebenden Umwelt, Landschaft und Landwirtschaft. Immer mit Bedacht auf die Gesamtheit der Dinge und das Zusammenspiel von Allem.

Womit ich nach langer Vorrede endlich da angelangt bin, worum es mir hier geht: Heimat. Und um das Anlangen eben dort, wo alles plötzlich in einem logischen Zusammenhang erscheint und Begriffe wie Nachhaltigkeit und Achtsamkeit ihre Wertigkeit im Buzzword-Bingo verlieren und wieder zu ihrer ursprünglichen Bedeutung und Herkunft zurück findet.

Heimat ist ein Gefühl, in das man hineinwachsen muss. Nicht zu verwechseln mit in die Heimat hineinwachsen – denn hier läge der Verdacht nahe, sich lediglich anzupassen ohne zu wirken und zu gestalten, was meiner Meinung nach einer der wichtigsten Treiber intrinsischer Motivation auf verschiedenen Ebenen, wenn nicht gar allen Ebenen ist.

Heimat ist nichts per se Definierbares. Es geht in Heimat nicht um ein Wort, sondern um ein Gefühl. Es ist ebenso wenig etwas Feststehendes, sondern etwas, das wächst und sich formt im Laufe eines jeden Menschenlebens, genauso wie sich Geschmäcker und Vorlieben, die Gewichtigkeit des Essens an sich und der Bezug zum Herd für jeden Menschen individuell definiert und entwickelt.

Jede Köchin und jeder Koch ist letztlich auf der Suche nach seiner persönlichen Handschrift auf dem Teller. Bewusst oder unbewusst entwickelt man sich weiter im Laufe seiner Lehr- & Wanderjahre, nimmt auf und schaut über Schultern, schaut auf Techniken, Produkte, Lebensmittel, Ernährungsphilosophie, Kultur und Physiologie, Arbeit am und um den Teller, um letztlich auf jedem Teller, der seine oder ihre Küche verlässt, seine persönliche Heimat zu repräsentieren. Ein Teller, der einen mit Stolz erfüllt und eine gewisse Verbundenheit zeigt, auf dem ein Weg zu erkennen ist und der es Wert ist ihn zu präsentieren und Gästen ein wohliges Gefühl zu vermitteln, auch wenn sie von fernen Orten kommen. Das ist denn auch Heimat, Geborgenheit und Ankunft – und ist es letztlich nicht das, wonach wir alle suchen und das, was wir unseren Gästen versprechen zu geben – im Restaurant, wie auch daheim? Doch ist der Heimat-Teller erst ein Beginn zu begreifen, was das alles bedeutet und wie die Dinge in Zusammenhang zu setzen sind. Erst mit dem Durchqueren der Ziellinie, dem bewussten Erreichen von “Heimat”, beginnt man zu reflektieren, was alles bisher bereits Heimat war, und vor allem, was es bedeutet sie zu erhalten beziehungsweise in Behutsamkeit weiter zu führen und zu entwickeln, um auch nachfolgenden Generationen die Möglichkeit zu geben, sich nicht nur in eine Heimat zu fügen, sondern auch mitzuentwickeln und zu wirken.

Heimat ist etwas, das man finden kann – jeder für sich, unabhängig des Kulturkreises, dem man entstammt, unabhängig davon, ob man zufällig vom Reisenden, viele tausende Kilometer vom Geburtsort entfernt zu einem Sesshaften wird, sich bewusst für einen Ort entscheidet oder berufsbedingt oder traurigerweise auch bewegt durch politisch motivierte Flucht, sofern man sich bewusst ist, dass man auf der Suche ist.

Heimat ist nicht nur der Boden auf dem man wandelt und der uns nährt, es sind die Geschichten um uns Menschen, zwischen uns Menschen, die erzählt werden oder auch geschehen, wenn wir miteinander ins Handeln kommen. Wir als KöchInnen, LandwirtInnen, ProduktentwicklerInnen und MetzgerInnen sind nicht nur Teil der Heimat-Philosophie, sondern können ein heimatliches Grundrauschen erzeugen, das benötigt wird, um die Wertschätzung auf das, was unsere Heimat für uns ist und sein kann zu bekommen, die es benötigt, um das Werteverständnis zu entwickeln, das unsere Umwelt, die uns direkt oder indirekt umgibt, verdient. Der Erhalt und der respektvolle Umgang mit Heimat geht immer auch einher mit einem Verantwortungsbewusstsein. Verantwortung für sein Handeln in direkten Bezug auf sich und seiner Umgebung, aber auch gesellschaftlich und zukunftsperspektivisch für alle Generationen, die uns noch folgen und mitgestalten wollen und sollen.

Und somit – so möchte ich enden – bedeutet Heimat für sich zu finden, auf dem Teller zu definieren und damit den Erhalt dessen festzulegen, was einem lieb und teuer ist, eine Unterhaltung über Regionalität, Nachhaltigkeit und Achtsamkeit obsolet zu machen, da der Mensch einen absoluten Selbsterhaltungstrieb in sich trägt, der es ihm von Natur aus verbietet kaputt zu machen, was ihn am Leben erhält und somit erhält was ihn umgibt.

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